Die Sage von "Otto der Schütz"

Sie begann in Hessen mit einem Landgrafen, der zwei Söhne hatte, einen älteren mit Namen Heinrich, einen jüngeren, der Otto hieß. Der Vater war darauf bedacht, beiden eine standesgemäße Karriere zu sichern, und da er sein Land nur dem mit dem Vorrecht der Erstgeburt ausgezeichneten Heinrich vermachen konnte, lag es im Zuge der Zeit nahe, für den anderen ein geistliches Amt anzustreben. In der Kirche gab es Pfründe für viele nachgeborene Adelssöhne. Aber Ottos Sinn war weltlicher Natur. Zwar widersprach er seinem Vater nicht, ließ sich auch ordentlich ausstaffieren für den langen Weg nach Paris, wo er seinen geistlichen Stand beginnen sollte, aber unterwegs scherte er aus. Ohne alles Aufsehen veräußerte er, was er für das Leben, das zu führen ihm vorschwebte, nicht benötigte, um es gegen anderes einzutauschen. Das waren in erster Linie ein zuverlässiges Pferd und eine erstklassige Armbrust, die meisterlich zu handhaben ihm nachgesagt wurde. Man merkte, der Mann war zum Ritter geboren.
Er wollte an einen, seinen Neigungen angemessenen Hof, wo es freizügig und ritterlich zuging, und das war der Überlieferung nach Kleve. Hier auf der Schwanenburg war er einfach ”Otto der Schütz“ und nicht der hessische Grafensohn. Er wurde in Dienst genommen und bewährte sich als vortrefflicher Schütze. Er soll der jungen Grafentochter Elisabeth ein besonders aufmerksamer Begleiter und Beschützer gewesen sein.
Dann geschah, was eigentlich überfällig war, denn die Welt der Ritter und Adligen war so groß nicht. Ein Fremder ritt auf den Schlosshof ein, der in “Otto der Schütz“ den erkannte, der er wirklich war. Das war inzwischen nicht nur des hessischen Landgrafen nachgeborener Sohn. Da sein Bruder Heinrich inzwischen in aller Stille verstorben war, suchte man seinen Bruder Otto gewissermaßen händeringend. Das Land brauchte einen Herrn, sollte es nicht in fremde, unbekannte Hände fallen. Die Familie brauchte einen, der das Geschlecht weitergab.
Da traf es sich gut, dass dieser Otto einst seinen eigenen Kopf aufgesetzt hatte und, anstatt geistlicher Herr gehobenen Standes zu werden, in Kleve als einfacher Knappe der dortigen Grafentochter seine Tage zugebracht hatte.
Da es, um ein Geschlecht weiterzuführen, nicht nur eines Ahnherrn bedarf, nahm Otto die schöne Elisabeth als seine Hausfrau mit in sein Hessenland.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute, ist man versucht hinzuzufügen, denn die Romanze zwischen diesen beiden Liebesleuten mutet an wie ein Märchen aus dem Bilderbuch.